Wikinger siedeln auf Grönland

Dem Geschichtskenner erzähle ich nichts Neues: Angeführt von Erik Thorvaldsson, Erich dem Roten besiedelten norwegische Wikinger von Island aus ab dem Jahre 986 die grösste Insel der Welt, Grönland. Aus heutiger Sicht erstaunt uns diese geschichtliche Tatsache, stellen wir uns doch unter Grönland ein vergletschertes Land vor, in dem spezialisierte Robben- und Waljäger bzw. Fischer mühselig ihr Dasein fristen. Man muss sich aber vor Augen führen, dass in jenen mittelalterlichen Zeiten das Klima in Grönland zwei bis drei Grad milder war (sog. mittelalterliches Klimaoptimum). So war es den Nachkommen der Wikinger möglich, auf Grönland während mehr als 450 Jahren ein ähnliches Leben, wie in ihrer Heimat Island, d.h. eine einfache Viehzucht mit Schafen, Ziegen und genügsamen Kühen zu führen.
An der norwegischen Besiedlung von Grönland gibt es wissenschaftlich keine Zweifel, es sind unzählige schriftliche und archäologische Beweise vorhanden, welche die Besiedlung in zwei Hauptsiedlungsräumen, Vesterbygd (Westsiedlung) und Austerbygd (Ostsiedlung) belegen. Die Namen zeigen, dass die Norweger damals wenig Ahnung hatten, wo sie sich genau befanden, denn Südsiedlung bzw. Nordsiedlung wären angemessenere Namen gewesen. Es wurden in beiden Siedlungen insgesamt fast dreihundert weitverstreute Höfe gefunden und dokumentiert und es sind 36 (!) Kirchen auf Grönland bekannt. Heute noch finden jeden Sommer Ausgrabungen auf Grönland statt, vor allem von kanadischen Universitäten.

Grönland Siedl

Grafik: U. Pape

Die norwegisch-isländische Kolonie lebte und überlebte viele Generationen bis tief ins 15 Jahrhundert. Aber die Handels-Kontakte wurden im 14. Jahrhundert immer seltener und brachen anfangs des 15. Jahrhunderts vollends ab.  Unklar und heute noch ein Rätsel ist der genaue  Zeitpunkt und die Gründe für das Ende der norwegischen Besiedlung. Sicher ist nur die Klimaveränderung: vor dem Jahr 1000 begann das mittelalterliche Klimaoptimum mit zwei bis vier Grad höheren Durchschnitts-Temperaturen, was das Siedeln in Grönland erst ermöglichte. Bereits ab der zweiten Hälfte des 13. Jhdts. wurde das Klima aber wieder kühler und es wurde zunehmend schwieriger, den bescheidenen Lebensumständen zu trotzen.

Was passierte aber genau:

  • Kehrten die Norweger ganz einfach nach Island oder gar Norwegen, der Heimat ihrer Vorfahren zurück?
  • Wurden die fremden Siedler von den wegen der Klimaveränderungen südwärts drängenden Inuit verjagt, verdrängt und sukzessive ausgerottet?
  • Erlagen sie der Unterernährung, ev. auch der Pest, die in Europa wütete?
  • Wanderten einige Familien in das neuentdeckte „Vinland“ (Kanada) aus?
    Die Wissenschaft weiss darüber wenig und mutmasst viel.

Zwei Faktoren spielten aber sicher eine entscheidende Rolle:

  • Die norwegischen Wikinger hielten bis zuletzt an ihrer gewohnten bäuerlichen Lebensweise fest; es kam ihnen nicht in den Sinn, Robben, Eisbären und Wale zu fangen und sich vom Meer zu ernähren, wie dies die Inuit taten (und heute noch tun)!
  • Die Mutternation Norwegen verlor das Interesse an ihrem fernen und armen Aussenposten; der Handel gab nichts mehr her, die Reisen nach Grönland waren aufwändig und gefährlich, kurz: die Rendite fehlte.

Wer sich für die Fragen der Besiedlung Grönland und über den Rückzug der Norweger aufgrund des aktuellen Wissensstandes informieren möchte, dem empfehle ich folgendes Werk:

Kirsten A. Seaver   „Mit Kurs auf Thule, die Entdeckungsreisen der Wikinger“
ISBN 978-3-8062-2487-0