Die Flotte setzt ihre Segel

Wie wir wissen, musste König Harold von England seine Milizarmee anfangs September 1066 trotz der Bedrohung durch Herzog William nach Hause entlassen, damit die Bauern die Ernte einbringen konnten. Es verblieben ihm die professionellen Soldaten, die „Huskarle“ der persönlichen Leibgarde von ihm und seinen Getreuen, insgesamt nicht mehr als 1000 gut ausgerüstete und gut ausgebildete Soldaten. Nachdem schon im Mai 1066 Tostig Godwinson, Bruder von Harold, mit dem Grossteil der englischen Flotte desertiert und nach Norden verschwunden war, verblieb der Süden Englands mit einer äusserst schwachen Verteidigung – eine ungemütliche Situation.

Aber Wilhelm war ebenso in der Klemme, sein Störefried war das Wetter. Der Ärmelkanal ist ohnehin ein nicht zu unterschätzendes Gewässer: unberechenbare Strömungen, die Gezeiten und rasche Wetterwechsel machten eine Überfahrt für die Segelschiffe des Mittelalters schwierig. Meistens herrschen westliche Windrichtungen und aus der Wetterküche Atlantik werden laufend neue Tiefdruckgebiete herangetragen. Nur in den Sommermonaten gibt es stabile Hochdrucklagen mit Winden aus Nordost bis Südost. Aber im Jahr 1066 zogen die westlichen Atlantiktiefs auch im Sommer unentwegt über England heran. Dies machte eine Invasion unmöglich, konnten doch die Schiffe der Normannen, die schwer beladen waren (teilweise auch mit Pferden), auf keinen Fall gegen den Wind aufkreuzen. Wilhelm wurde denn auch immer nervöser, hätte er doch im schlimmsten Fall auf den nächsten Sommer warten müssen um seine Invasion zu starten. Aber dann, mutmasslich am 12. September, schien ihm die Sonne und das Glück zu lachen. Das Westwind-Wetter drehte nach Süd/Südost und die Flotte stiess aus der Bucht von Dives-sur-Mer in See. Als sie jedoch den offenen Ärmelkanal erreichte, wurde sie von heftigen Winden aus westlichen Richtungen durchgeschüttelt. Die Schiffe wurden vom starken Wind nach Osten getrieben und es gelang schliesslich nur mit Mühe, in St. Valéry-sur-Somme anzulanden. In den zeitgenössischen Berichten steht, dass einige Schiffe samt Besatzung verloren gingen, was Wilhelm dem Gros seiner Armee aber verschwieg um nicht noch mehr Unruhe zu erzeugen.

Schliesslich, am Abend des 27. September 1066 stach die Flotte erneut in See und erreichte am anderen Morgen die englische Küste zwischen Pevensey und Hastings.

Invasion William

Grafik: U. Pape

Damit stellt sich eine wichtige Frage: War Wilhelm anfangs September in See gestochen, um England zu erobern oder wollte er mit einem Transfer seiner Flotte von Dives-sur-Mer nach St. Valery-sur-Somme die Kanalüberfahrt verkürzen?

Ich bin der Meinung, dass der Aufbruch am 12. September 1066 ein gescheiterter Invasionsversuch von Wilhelm dem Eroberer war und zwar aus folgenden Gründen:

  • Wilhelm war in Eile, in wenigen Wochen würde das Wetter am Kanal wieder für längere Zeit auf Herbst-/Winter, also westliche/nordwestliche, heftige Winde umschalten. Als er hörte, dass sein Gegner einen Grossteil seiner Truppen nach Hause geschickt hatte, ergriff er den ersten wettermässigen Hoffnungsschimmer für die Invasion.
  • Eine solch grosse und komplizierte Aktion mit Verladen von sehr viel Material, seeungewohnten Bauern und Kriegern sowie ca. 2000 Pferden riskiert ein erfahrener Kriegsherr wie Wilhelm nicht zweimal, wenn er nicht durch die Umstände dazu gezwungen ist.
  • Dives-sur-Mer lag im Herzen seiner Normandie, St. Valéry-sur-Somme im Ponthieu, im Land der östlichen Nachbarn. Die Herzöge von Ponthieu waren zwar seit Auseinandersetzungen 1053 durch Verträge mit der Normandie verbunden und auch Verwandte von Wilhelm’s Gemahlin. Diese Verbindung beruhte aber nicht auf Augenhöhe – die beiden Herzogtümer waren sich eher durch herzliches Misstrauen nahe. Freiwillig würde Wilhelm dort niemals einen Bereitstellungsraum beziehen. Da war der längere Seeweg -bei günstigem Wind- das kleinere Übel.

Nein, ich bin überzeugt davon, Wilhelm wollte ab Dives-sur-Mer die Invasion starten, was dann aufgrund der Westwindböen auf dem offenen Kanal gründlich schief ging. Umsomehr muss man seine Entschlossenheit und Führungskraft bewundern, mit der er die ganze Operation nach dem ersten Scheitern nochmals befahl.